Pedros Auto konnte man immer auf den ersten Blick erkennen. Es war der einzige Ford Capri, der auch im unbesetzten Zustand links 10 cm tiefer hing als rechts. Semi-tiefergelegt sozusagen. Der Capri war auch der Grund für die wütende Schimpfe, die wir bei unserem ersten Auftauchen im Dorf bezogen hatten. Wir hatten auf „seinem“ Platz geparkt. Nur weil die Karre ein paar Tage in Manzos‘ Werkstatt verbringen musste, war der Platz frei gewesen. Und wir unwissenden Touris stellten uns auf den einzigen Parkplatz, der Pedros nur fünf Meter Fußweg bis zu seinem Hauseingang garantierte! Nach vielen Fischsuppen, CDs, Tomaten und Zigaretten ist das natürlich längst vergessen. Wir zogen aus dem Dorf fort in ein anderes, aber es blieb der Kontakt übers Küchenfenster, über Lou Reed und Giannis Ritsos, selbstgemachte Dolmadakia und gekaufte Karelia.
Einmal brauchte Pedros die Zigaretten zu einem ganz anderem Zweck. Zusammengesunken hing er über dem Balkongeländer und bat mich, ihm zu helfen. Er schämte sich sehr dafür. Seine dicken Beine, bzw einige Venen waren geplatzt. Sein Schlafzimmer war über und über voller Blut. Die typische Situation nach dem Motto: liest oder hörst du sie, denkst du, du hältst das nicht aus, bist du aber drin, funktionierst du. Pedros stopft die Löcher in seinen Venen mit dem Tabak von meinen Zigaretten. Ich wische das Zimmer. Ob er wirklich nicht ins Krankenhaus wolle? Nein, er habe das schon öfters erlebt. Er wisse, was die Ärzte sagen. Gekotzt habe ich erst eine halbe Stunde später.
Ein Jahre später hat Pedros seinen Capri zu Schrott gefahren, ich glaube nicht, dass er nüchtern war dabei. Pedros ging bzw. fuhr aber relativ selten abends raus, es war einfach zu anstrengend für ihn. Er kaufte sich einen anderen Ford, witzigerweise einen mit wirklich tiefergelegten Fahrwerk. Aber viel wichtiger war der dort eingebaute CD-Spieler, der auch MP3 direkt abspielen konnte. Ich durfte nun alles noch mal im neuen Format brennen.
Eines Abends, ein unverhältnismäßig schwüler Februartag, ich war ziemlich gestresst und geschafft, fuhr ich trotzdem bei ihm vorbei, um ihm CDs zu bringen, deren Musikstücke in Verzeichnissen sortiert waren, wir wollten ausprobieren, ob der Player in seinem neuen Auto das Format lesen konnte. Es gab gebackenen Fisch mit Kartoffeln und Fenchel. Pedros wusste immer, wo man gute Lebenmittel kaufen konnte. Das was ich selber kaufte, schmeckte nie so wie bei ihm. Er war in einer rührseeligen, traurigen Stimmung. Er müsse nun morgen doch ins Krankenhaus. Ich war zu müde, um weiter darauf einzugehen. Pedros war trotz seiner Ärtzeverachtung schon oft im Krankenhaus gewesen. Wir hörten noch eine Kasette von „Nazareth“, tranken Weißwein und rauchten meine Zigaretten.
Erst eine Woche später erfuhr ich, dass Pedros noch in der gleichen Nacht gestorben war. Als ich es erfuhr, war er längst beerdigt. Sein Grab hat bis heute keinen Grabstein, nächster Verwandter ist ein Bruder, der in Australien lebt, und dessen einziges Interesse es ist, Pedros‘ Haus und Grundstück gewinnbringend auf den ausgetrockneten Immobilienmarkt zu bringen. Pedros Rasiersachen liegen noch heute unangerührt in seinem Außenbad. Und irgendwo im Haus liegen viele kleine Zettelchen mit Gedichten, die ich vor 2 Jahren noch nicht übersetzen konnte. Und irgendwann wird ein Bulldozer kommen und alles zusammenschieben, die Rasiercreme, die Bücher, die Gewürze für die Fischsuppe und die Gedichte.
Februar 2010
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