Pedros, Teil 1

Als wir unser erstes gemietetes Häuschen im von uns auserkorenen Bergdorf bezogen, trafen wir gleich zu Beginn ihn, Pedros, einen unglaublich fetten Mann undefinierbaren Alters, der wütend halb griechisch halb englisch auf uns einschimpfte. Er stand auf seinem Balkon, und weil er nur eine Unterhose trug, dachten wir, er sei nackt. Es ging irgendwie um unser vollbeladenes Auto, was da nicht stehen könne, obwohl es eigentlich ganz prima da stand. Ich fuhr das Auto 10 Meter weiter zurück und wir luden schwitzend unsere Habe in der Septemberhitze aus.

Mirthios Kreta

Pedros war fortan unser indirekter Nachbar, unser Garten grenzte an den seinen. Etwas befremdet sahen wir in den folgenden Tagen unseren dicken, mürrischen, fast nackten Nachbarn wie er in seinem Garten die Beete säuberte. Irgendwann rief er mich an den Zaun, um mir ein paar schon ziemlich weiche Tomaten zu überreichen. Mein Dankes-Gestammel wurde von der englischen Frage unterbrochen, ob ich ein paar Zigaretten für ihn hätte. Hatte ich. Wenige Tage später ging es dann um Paprika und – Rock’n’Roll! Ob ich gute Rockmusik dabei hätte. Hatte ich. Zudem wurde mir langsam klar, dass vieles, was ich für kretischen Dialekt gehalten hatte, in Wirklichkeit ein unglaublich genuscheltes Englisch war. Langsam verstanden wir uns besser.

Pedros hatte früher mal 200 Jahre in Bosten gelebt und gearbeitet und hatte dort noch irgendwo 12 Tonnen LP’s gelagert, er konnte es sich aber nicht leisten, sie nach Ellas verschiffen zu lassen. Und seine Ärzte hatten ihm das Rauchen bei Todesstrafe verboten. Ich brannte CD um CD von meiner MP3-Sammlung und wir durften fortan an seinen Kochkünsten teilhaben. Mal wurde schnaufend ein Topf zu uns rübergebracht, mal wurden wir eingeladen. Pedros Fischsuppe war die beste überhaupt.

Wenn wir abends nach Hause kamen, sahen wir oft Pedros fetten, nackten Oberkörper aus dem Küchenfenster gelehnt im Schein einer kleinen Lampe ein Buch lesen. Es wurde zur Gewohnheit, ihm im Vorbeigehen eine Zigarette hochzuwerfen. Er laß nicht nur, er schrieb auch. Der fette ungestalte Mann schrieb auf kleine Zettelchen Gedichte. Gemeinsam versuchten wir, sie zu übersetzen. Meine Griechischkenntnisse waren fast Null, von daher beschränkte sich mein Anteil auf Worte finden, englische oder deutsche. Pedros schrieb noch polytonisch, also mit vielen Strichelchen, seine Rechtschreibung war die der Katharevousa, der alten Hochsprache. Eine gute Übersetzung kriegten wir nie hin, aber es beschämte mich, wie grob meine Fehleinschätzung des schimpfenden, monströsen Mannes zu Beginn ausgefallen war. Die Gedichte waren feinsinnig, subtil, meist das verlorene Dasein des Menschens an sich thematisierend. Und der Poet saß schwitzend vor mir, nur mit Unterhosen bekleidet auf dem einzigen unserer Stühle, der sein Gewicht aushalten konnte. Pedros drehte immer die Lehne nach vorne um seinen Oberkörper abzustützen. Nach hinten gelehnt, hätte jeder griechische Stuhl kapituliert.

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Februar 2010
Copyright 2010 Frente, Mirthios